Sozialarbeit, Schule, Gesellschaft
Soll, kann, darf Sozialarbeit eine Art Feuerwehr sein, die immer dann gerufen wird und überall dort eingreift, wo Individuen abweichend, unangepasst reagieren, wenn sie Sand im Getriebe von Institutionen sind oder gar der Gesellschaft andere Werte vorleben? Die Arbeit an sozialen Brennpunkten legt nahe, dass das reibungslose Funktionieren der Gesellschaft nach so einer Feuerwehr verlangt. Ist demgegenüber die soziale Arbeit mit alten Menschen oder in Schulklassen ein entbehrlicher Luxus, der diversen Einsparungsmaßnahmen geopfert werden kann? Ist Sozialarbeit ein Brotkrümel, das wohl oder übel vom Tisch der Reichen abfällt, ein Almosen einer Gesellschaft, die im Grunde keinen Wert auf die Rehabilitation der Ausgesonderten, Entrechteten und "armen Schlucker" legt, wenn ihnen einmal die Würde und das Recht, in der Mitte der Gesellschaft zu leben, genommen wurden? Was bringt die Professionalisierungsdebatte? Gibt es überhaupt ein spezifisches Klientel der Sozialarbeit und gibt es beschreibbare Qualifikationen für die Aufgabe, an der Humanisierung der Gesellschaft zu arbeiten? In diesem schulheft findet der Leser, die LeserIn einige Antworten - und weitere Fragen. Peter Gstettner Helmut Spitzer Tanja Kaizar Helmut Spitzer Bernd Stickelmann Peter Malina Klaus Ottomeyer Elisabeth Heidegger-Tölderer Elisabeth Heidegger-Tölderer Kärntner Berufsverband der SozialarbeiterInnen Karlheinz Simonitsch Peter Gstettner "Lehrer fühlen sich von Erziehungsaufgaben überfordert und wünschen sich Unterstützung durch Sozialarbeiter." (Der Standard, 28. 11. 2008) Dieses Ergebnis einer österreichweiten Umfrage unter LehrerInnen aller Schultypen spiegelt die Stimmung in vielen Schulen, aber auch in der öffentlichen Meinung wider. Wurde bisher die Lösung unbearbeiteter Probleme von Jugendlichen den LehrerInnen und der Schule zugeschoben, erwartet man sich diese nun von der Sozialarbeit. Dabei bleibt das, was unter Sozialarbeit verstanden wird, sehr vage. Das strafweise Zusammenkehren des Raucherareals am Schulhof wird ebenso als "Sozialarbeit" bezeichnet wie unqualifizierte Hilfsdienste in sozialen Einrichtungen. Nur wenige wissen genauer Bescheid, was professionelle Sozialarbeit eigentlich ist, will und kann. Dieses schulheft soll deshalb zu einem klareren Bild der Aufgaben, Ziele und Grenzen der Profession Sozialarbeit beitragen und ihren gesellschaftlichen Stellenwert deutlich machen. Eine Grundlage dafür sind die Ergebnisse der Internationalen Bundestagung der SozialarbeiterInnen "Menschenwürde statt Almosen" (vgl. www.menschenwuerde.at), die vom Kärntner Berufsverband der SozialarbeiterInnen organisiert wurde und eine Standortbestimmung in den einzelnen Handlungsfeldern der Sozialarbeit darstellte. Der größte Teil der Artikel dokumentiert die Referate und Arbeitskreise dieser Tagung. Ergänzt werden diese um einige weitere Beiträge (Spitzer, Kaizar), die das Augenmerk auf immer wichtiger werdende Arbeitsfelder der Sozialarbeit richten und den Blick auch über Österreichs Grenzen öffnen (Stickelmann). Eröffnet wird das Heft von zwei Grundsatzartikeln. Zu Beginn zeigt Peter Gstettner in seinem Referat "Die eingeschlossenen Ausgeschlossenen" die kritisch-emanzipatorische Aufgabe von Sozialarbeit und die besondere gesellschaftliche Verantwortung von SozialarbeiterInnen auf. Helmut Spitzer bemüht sich anschließend um eine Klärung der Begriffe "Sozialarbeit" und "Sozialpädagogik", indem er die historische Entwicklung der Aufgabenfelder und Ausbildungsmöglichkeiten in Österreich herausarbeitet und Perspektiven für die weitere Entwicklung aufzeigt. Die anschließenden Artikel wenden sich dann speziellen Handlungsfeldern der Sozialarbeit zu: Tanja Kaizar und Helmut Spitzer dem alten Menschen, einem Bereich, der in zunehmendem Maß nicht nur in der medizinischen, sondern auch in seiner sozialen Dimension von Bedeutung ist. Bernd Stickelmann wendet sich dem jungen Menschen im besonderen Umfeld der Schule zu. In Deutschland gibt es Schulsozialarbeit schon seit über 20 Jahren, insofern fußt sein Beitrag auf reicher Erfahrung, die für die langsam beginnenden Projekte in Österreich fruchtbringend ist. Die beiden Beiträge von Peter Malina und Klaus Ottomeyer runden den theoretischen Teil ab, indem sie sich mit den gesellschaftlichen Funktionen von Sozialarbeit befassen, mit der Funktion der Ausgrenzung, Kontrolle und Selektion, wie sie in der "schwarzen Fürsorge" des Nationalsozialismus praktiziert wurde (Malina), und mit der Funktion, die in enger Kooperation mit der Pflege und der Psychotherapie für eine Sozialarbeit der Zukunft prägend sein soll, nämlich der Fürsorge für die gesellschaftlich Abgehängten und Abgekoppelten (Ottomeyer). Die praxisorientierten Artikel werden von Elisabeth Heidegger-Tölderer eröffnet, die zuerst die Methode des Forumtheaters von Augusto Boal darstellt, welche dann an einem konkreten Beispiel illustriert wird: Jugendliche, die bei "Neustart" als KlientInnen betreut werden, spielen eine Szene aus ihrem Erfahrungshintergrund. Das Konzept des Kärntner Berufsverbandes der SozialarbeiterInnen zur Schulsozialarbeit zeigt auf, wie Sozialarbeit in der Schule konkret funktionieren könnte, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, um sie erfolgreich durchführen zu können. Der Forderungskatalog der Arbeitskreise bei der Tagung "Menschenwürde statt Almosen" schließlich macht deutlich, wo die organisatorischen, finanziellen und personellen Grenzen der Sozialarbeit derzeit liegen, die es zu beseitigen gilt, wenn Sozialarbeit ihre gesellschaftlichen Aufgaben wirklich wahrnehmen können soll. Im Rahmen der Bundestagung wurde auch ein mobiles Denkmal für die Opfer der Fürsorge im Nationalsozialismus enthüllt,das nun bei verschiedenen Veranstaltungen in ganz Österreich Anlass zur Reflexion über das eigene Berufsverständnis gibt. Der Kärntner Künstler Karl-Heinz Simonitsch beschreibt die Konzeption seiner Installation und Peter Gstettner stellt in seiner Ansprache zur Enthüllung die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten in einen größeren Zusammenhang, indem er betont, dass "das Unheil in den Köpfen begann". "In unseren Köpfen" muss also ein richtiges Bild verantwortungsvoller Sozialarbeit entstehen. Dazu bedarf es gemeinsamer Anstrengungen auf politischer, gesellschaftlicher, aber auch kultureller Ebene. Nur wenn es uns gelingt, Sozialarbeit nicht auf eine Rolle der Feuerwehr bei Krisen in der Schule oder in anderen Arbeitsbereichen zu reduzieren, sondern sie als Grundfunktion einer Gesellschaft zu verstehen, die die Menschenrechte schützt und die Menschenwürde fördert, dann wird es auch möglich sein, sie im öffentlichen Bewusstsein so zu verankern, dass sie die entsprechenden organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen erhält, ihre Aufgabe professionell zu leisten. Gernot Haupt Barbara Falkinger Anna-Maria Adaktylos, Sprachwissenschaftlerin, Wien Agnieszka Dzierzbicka, Assistentin am Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien Ingolf Erler, Soziologe, Journalist, Wien Ingrid Kluger, Gehörlosenpädagogin, Wien Sabine Krones, Leiterin wienXtra-kinderinfo/wienerferienspiel/familientage Hermann Kuschej, Soziologe, Institut für höhere Studien, Wien Grete Miklin, Bundesdachverband der Elternverwalteten Kindergruppen, Wien Walter Mitterbauer, Radfahrer und Skibergsteiger Stefan Rabl, Leiter des Theaters für junges Publikum - Dschungel, Wien Gerd E. Schäfer, Univ. Prof. Köln, Lehrstuhl für allgemeine Erziehungswissenschaften unter bes. Berücksichtigung der frühen Kindheit Anette Schawerda, Landschaftsplanerin, Spielpädagogin, Mediatorin, Bad Vöslau, NÖ Michael Sertl, Soziologe an der Pädagogischen Akademie des Bundes, Wien Susanne Skriboth-Schandl, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, Psychotherapeutin, Wien Constanze Wimmer, unterrichtet an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz zu Aspekten der Musikvermittlung Studienverlag: Schulheft 132Klappentext
Inhalt
Die eingeschlossenen Ausgeschlossenen. Zum gesellschaftlichen Umgang mit Fremdheit
Soziale Arbeit in Österreich. Anmerkungen zum Verhältnis von Sozialarbeit und Sozialpädagogik .
Pflegenotstand in Österreich
Die Entdeckung des Alters. Konturen einer Sozialen Arbeit mit alten Menschen
Schulsozialarbeit als Sozialraum Erfahrungen machen zwischen Schule und Jugendhilfe als Alltagsbewältigung für Kinder und Jugendliche
" ... Ausgrenzen, kontrollieren, selektieren ..."
Zur Missachtung der Menschenwürde durch die Fürsorge des Nationalsozialismus
Sozialarbeit der Zukunft
Theater schafft Forum. Forumtheater als Methode in der sozialpädagogischen Praxis
Spielen, um zu verändern. Praxisbeispiel Forumtheater
Konzept Schulsozialarbeit
Forderungskatalog der SozialarbeiterInnen
"Reichsausschusskind". Das Denkmal für die Opfer der Fürsorge im Nationalsozialismus
Es begann in den Köpfen und endete in Flammen
Ansprache zur Enthüllung des Denkmals für die Opfer der Fürsorge im NationalsozialismusVorwort
Dieses schulheft soll ein Schritt in diese Richtung sein.AutorInnen
Redaktion
Walter Mitterbauer
Ingrid Rotbacher-Stastny
Michael SertlAutorInnen
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