Lust – die ignorierte
Dimension der Pädagogik
Klappentext
Das vorliegende schulheft nähert sich dem weiten Feld der Lust – keineswegs reduziert auf seine sexuelle Konnotation – aus pädagogischer Perspektive an.
Es werden Themen aufgegriffen, bei denen unreflektierte Berührungspunkte zwischen Lust und Pädagogik vermutet werden beziehungsweise Lust – allzu oft zu „Spaß“ verballhornt – zum Vehikel pädagogischer Bemühungen gemacht wird.
Inhalt
Vorwort
Erich Ribolits
Habe Mut, dich deiner Sehnsucht nach Lust und Liebe zu besinnen!
Daniela Holzer
Verdächtige Lust
Lorenz Glatz
Eine Menge Frust für ein Quäntchen Lust
Zum Lehren, Lernen und Arbeiten in einer Zeit des Niedergangs
Eveline Christof
Schule – Lust oder Frust?
Kann Lernen immer Spaß machen?
Eveline Christof, Christian Kraler
Lust und Lernen – die Fiktion der
Planbarkeit lustvoller Lernprozesse
in der formalen Bildung
Julia Köhler
Von der Lust am Theaterspiel in der Schule
Überlegungen zum Thema Lust im Kontext theaterpädagogischer
Arbeit in der Schule
Helga Peskoller
Leistung, im Dienst der Lust?
Grundlagen und Bedingungen, dargestellt am (Gegen-)Beispiel Höhenbergsteigen
Michael Parmentier
Ästhetische Lust
AutorInnen
Vorwort
Mit dem Begriff Lust wird ein Zustand beziehungsweise ein Erleben angesprochen, bei dem ein Mensch sich vorübergehend nicht mehr als Subjekt – als eine gegenüber dem „Rest der Welt“ abgetrennte Ich-Einheit – wahrnimmt. In Augenblicken der Lust löst sich kurzzeitig die Demarkationslinie auf, aus der sich die Existenz des Subjekts speist, und es eröffnet sich gewissermaßen eine Gegendimension zu der an die herrschende (instrumentelle!) Vernunft geketteten Lebensform der Selbstbezogenheit und Nutzenorientierung. Dieses „Außer-sich-Sein“ stellt sowohl Attraktion als auch Bedrohung dar. Ausgelöst werden kann das temporäre in den Hintergrund Treten des Subjekts durch unterschiedlichste Begleitumstände. Den meisten Menschen sind Momente der Lust primär im Zusammenhang mit sexuellen Erlebnissen bekannt, jedoch können auch ganz andere Erfahrungen Grundlage der vorübergehenden „Selbstauslöschung“ (Adorno) sein. Lust kann aus schöpferischem und kreativem Tun, dem Überwinden sich selbst auferlegter Grenzen, geistiger Versenkung, dem Spiel oder auch intensivem Naturerleben erwachsen. Darüber hinaus kennen wir aber auch die Lust am Lernen und der daraus entspringenden Erkenntnis.
Obwohl Lust somit zumindest unter den letztgenannten Aspekten durchaus auch das Feld der Pädagogik tangiert, gibt es nur wenige bildungswissenschaftliche Reflexionen und Theorien zur Frage, wie und ob Heranwachsende und Erwachsene pädagogisch dabei begleitet werden können, sich adäquate Zugänge zur Lust zu erschließen, ihr Lustempfinden zu kultivieren und mit Hilfe lustvoller Erfahrungen einen ganzheitlicheren Zugang zur Existenz zu gewinnen. Pädagogische Bemühungen sind auf das Subjekt gerichtet; ihr erklärtes Ziel ist seine Integration in gesellschaftliche Strukturen mittels des Erwerbs von Wissen und die Befähigung, dieses vernünftig zu verknüpfen. Darüber hinaus will Pädagogik – zumindest in ihrer avancierten Ausprägung – die Autonomie des Subjekts fördern und sein Selbstbewusstsein stärken. Der Fokus liegt somit letztendlich immer auf einem Festigen des Subjektstatus, der Anspruch, zum Grenzgänger zwischen Subjekt und Nicht-Subjekt zuwerden, ist kein pädagogisches Ziel und wird bildungstheoretisch demgemäß kaum je in den Blick genommen.
In diesem Sinn verfolgt das vorliegende schulheft die Absicht, ein wenig zum Füllen einer bildungstheoretischen Leerstelle beizutragen. Zum einen wird versucht, das Thema Lust aus pädagogischer Perspektive ein wenig auszuleuchten, zum anderen werden schlaglichtartig Themen aufgegriffen, bei denen unreflektierte Berührungspunkte zwischen Lust und Pädagogik vermutet werden beziehungsweise Lust – oftmals zu „Spaß“ verballhornt – zum Vehikel pädagogischer Bemühungen gemacht wird. Den Grenzen entsprechend, die einem pädagogischen Periodikum der Dimensionen des schulhefts auferlegt sind, wird das Thema Lust und Pädagogik in der vorliegenden Ausgabe selbstverständlich bloß angerissen. Von Seiten der Redakteur/innen besteht dennoch die Hoffnung, dass das Heft bei seinen Leserinnen und Lesern „Lust auf mehr Lust“ auszulösen imstande ist.
Eveline Christof und Erich Ribolits
In den Beiträgen werden unterschiedliche Gender-Schreibweisen verwendet. Die Redaktion hat dies den AutorInnen freigestellt.
AutorInnen
Redaktion
Eveline Christof
Erich Ribolits
Eveline Christof: Assoz. Prof. Mag. Dr., assoziierte Professorin an der Fakultät für LehrerInnenbildung der Universität Innsbruck
und Leiterin des Instituts für LehrerInnenbildung und Schulforschung. Sie lehrt und forscht in den Bereichen Schulpädagogik,
Lehrer/innenbildung, reflexionswissenschaftliche Forschung, qualitative Bildungsforschung.
Lorenz Glatz: pensionierter Latein- und Griechischlehrer. Mitherausgeber und Redakteur bei „Streifzüge. Magazinierte Transformationslust“. Beteiligt an Versuchen solidarischer Wirtschaftsweise. Autor von „Reisen zu verlorenen Nachbarn. Die Juden von Wiesmath“. Löcker 2017
Daniela Holzer: Assoz. Prof. Dr., Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften, Arbeitsbereich:
Erwachsenen- und Weiterbildung. Arbeitsschwerpunkte: kritische Erwachsenenbildung, kritische Erziehungswissenschaft,
kritische Theorie, Weiterbildungswiderstand, Bildung und Gesellschaftskritik, theoretische und bildungsphilosophische Zugänge und Methoden
Julia Köhler: Mag. Dr., Senior Lecturer am Zentrum für Lehrer/innenbildung der Universität Wien, Lektorin an der Akademie der bildenden Künste, Wien. Co-Leitung der Bundesarbeitsgemeinschaft Theater in der Schule (BAGTIS). Arbeitsschwerpunkte: Theaterpädagogik, Kulturelle Bildung.
Christian Kraler: Univ.Prof. Mag. Dr., Professur für LehrerInnenbildung und Lernforschung am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung, Universität Innsbruck. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: interdisziplinäre und internationale LehrerInnenbildungsforschung, Lern- und Bildungsgangforschung, Struktur und Philosophie formaler Bildungssysteme https://www.uibk.ac.at/ils/mitarbeiter/christian-kraler/
Prof. Dr. Michael Parmentier † (3. Juni 1943 – 3. Jänner 2018): Bis zu seiner Emeritierung 2008 Professor für Ästhetische Bildung
und Museumspädagogik am Institut für Erziehungswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungen konzentrierten sich auf den Aufbau eines virtuellen pädagogischen Museums und auf ikonographische Studien zu Bildungsprozessen und pädagogischen Verhältnissen seit der Renaissance.
Helga Peskoller: Univ.-Prof. Mag. Dr., Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Historische Anthropologie und Ästhetische Bildung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck
Erich Ribolits, Univ.-Prof. Dr., Ursprünglich Techniker, in weiterer Folge Berufsschullehrer, Lehrerbildner und Leiter der Abteilung für Aus- und Weiterbildung am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. Seit Ruhestandsversetzung tätig als Privatdozent an der Universität Wien und der Universität Graz. Forschungsschwerpunkt: Zusammenhang von Arbeit, Bildung und gesellschaftlicher Verfasstheit.