Neue Mittelschule / NMS.
Reform von oben für die da unten
Klappentext Das schulheft geht der Frage nach, wie es um die Neue Mittelschule nach ihrer Einführung als Modellversuch und der folgenden österreichweiten Umsetzung als Regelschule steht. Unterschiedliche Perspektiven, wissenschaftliche Analysen und Einschätzungen aus verschiedenen Erfahrungsfeldern geben kritische Einblicke in die Problematik. Vorwort Eva Borst Florian Bergmaier Gertrud Nagy Johanna Eidenberger, Ute Sandberger Thomas Müller, Karin Vilsecker, Günter Maresch, Klaus Scheiber, Werner Gems Josef Seiter Ursula Buchner, Gerda Kernbichler Gabriele Bogdan Helmut Breit Interview mit NMS-Direktor Wolfgang Loidl-Kendler Werner Fröhlich Katharina Tiwald Michael Rittberger Buchbesprechung Rainer Hawlik AutorInnen Vorwort Vergangene schulhefte beschäftigten sich immer wieder mit dem Thema der Umgestaltung und Neuorganisation der Sekundarstufe I, da in Österreich die frühe Selektion der Heranwachsenden im Alter von zehn Jahren erfolgt und insbesondere SchülerInnen aus „bildungsfernen“ Schichten und solche mit „Migrationshintergrund“ Benachteiligungen auf dem Weg zu höherer Bildung erfahren. Die Trennung am Beginn der Sekundarstufe I hat eine weniger soziale Durchmischung in den unterschiedlichen Bildungsstätten zur Folge. Das schulheft 162 geht der Frage nach, wie es acht Jahre nach der Einführung des Modellversuchs Neue Mittelschule (2008) und der österreichweiten Umsetzung als Regelschule, beginnend mit dem Schuljahr 2012/13 bis 2015/16, um diese steht. Die NMS soll die Hauptschule ersetzen, nicht jedoch die AHS, sie ist also keine gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen. Der Diskurs zur NMS wurde von der Öffentlichkeit wahrgenommen oder mitgetragen, hauptsächlich aufgeladen durch Auseinandersetzungen in Medien oder zwischen politischen VertreterInnen. Evaluierungen und Studien orientierten sich stark an vorgegebenen Leistungskriterien, Stimmen einer kritischen Pädagogik waren wenig gefragt. Das vorliegende schulheft betrachtet die NMS aus unterschiedlichen Perspektiven, bietet sowohl Analysen aus wissenschaftlicher Theorie als auch Einschätzungen aus unterschiedlichen Erfahrungsfeldern und ermöglicht den LeserInnen einen Perspektivenwechselzur jeweils eigenen Involviertheit in die Problematik. Die Erziehungswissenschaftlerin Eva Borst betrachtet die NMS unter dem Titel „Die Neue Mittelschule: Ein Lehrstück über die allgemeine Heuchelei in der Bildungspolitik“ exemplarisch für eine Bildungspolitik, deren Verfehlungen erst verständlich werden, wenn die in den letzten Jahren durchgeführten Reformen in den gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozess eingeordnet werden. Erziehungs- und Bildungswesen bieten der neoliberalen Ideologie zentrale Angriffspunkte, gekennzeichnet durch Verlust an Moral und Menschlichkeit und dem damit ein hergehenden Unvermögen zur Empathie, zur Solidarität und zu einer historisch-gesellschaftlichen Selbstbestimmung. Eva Borst untersucht die gängige Gratifikationspädagogik und das Phänomen der systemimmanenten strukturellen Beschämung unter der Perspektive kritischer Bildungstheorie. Sie setzt sich schlussendlich mit dem veröffentlichten Lehrplan der NMS auseinander und thematisiert die hinter dem Konzept der NMS aufscheinenden Widersprüche, hervorgerufen durch die manipulative Sprache, denn ein hervorstechendes Merkmal der neoliberalen Reform ist die Rhetorik der Unwahrhaftigkeit, die Begriffe könnten unhinterfragt auch dem Arsenal der kritischen Pädagogik entstammen. Besonders die Bildungsziele stellt der Lehrplan als großartig dar. Es wird so getan, als würden die damit verbundenen Werte umgesetzt, wo sie doch gerade heute abgebaut werden. Verräterisch heißt es aber im Lehrplan, dass ein förderliches Lernklima hergestellt werde, um so „Demotivation, Beschämung und Entfremdung“ zu vermeiden. Die Beschämung ist allerdings dem Lehrplan immanent und kann daher gar nicht vermieden werden. Das ist die eigentliche Tragik einer Schulreform, die sich in pseudohumanen Appellen erschöpft und die gesellschaftlich erzeugten Kräfte ignoriert. Florian Bergmaier nimmt die Versprechungen und Selbstdarstellungen der NMS unter die Lupe, indem er das Vokabular der proklamierten „neuen Lehr- und Lernkultur“ auf Anspruch und Wirklichkeit hin prüft und vor dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher Publikationen kommentiert. Inhalt dieses „Glossars“ sind bereits bekannte Begriffe wie: Bildungsstandards, Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit, Differenzierung und Individualisierung, Eigenverantwortung und Selbsttätigkeit der Lernenden oder Ganztagsbetreuung. Hinzu kommen neue Begriffe wie: Ergänzende Differenzierende Leistungsbeurteilung (EDL), Kinder- Eltern- Lehrpersonen-Gespräche (KEL-Gespräche), Lerndesignarbeit oder Teamteaching. Das Glossar sieht sich jedoch keinesfalls als abgeschlossen, sondern als Anstoß, kritisch diese neue Terminologie auch weiterhin zu durchleuchten. Gertrud Nagy untersucht „Creaming durch die AHS und Kompositionseffekte an der NMS“ anhand von Untersuchungsergebnissen, Kommissionsberichten und neuer Fachliteratur. Creaming durch die AHS und ungünstige Kompositionseffekte in der NMS, so das Resultat, können mit dem Reformkonzept der NMS nicht verhindert werden. Johanna Eidenberger und Ute Sandberger haben die Entstehung und Entwicklung der NMS von 2008 bis 2012 vor allem vom Elterninteresse her wissenschaftlich erforscht und beurteilt. Sie berücksichtigen in der Zusammenfassung für das schulheft die weiteren Entwicklungen der Regelschule NMS bis 2016 und prognostizieren, grob gesprochen, dass die NMS die Spaltung der Sekundarstufe I nicht verhindern wird und die, dass die NMS unter weiteren gesellschaftlichen und ökonomischen Schwierigkeiten leiden wird, was den Zuzug zur AHS eher forciert. Drei Beiträge beschäftigen sich mit bedenklichen, gezielt herbeigeführten Defiziten in der NMS, nämlich den Kürzungen und Veränderungen von drei Fachbereichen, die zum grundlegenden Denk- und Handlungsvermögen junger Menschen gehören müssten und sie befähigen sollten, lebenswichtige Aufgaben zu erfüllen. Ein AutorInnen-Team um Thomas Müller befasst sich mit Geometrischem Zeichnen (GZ), Josef Seiter mit Technischem und Textilem Werken, Ursula Buchner und Gerda Kernbichler mit Ernährung und Haushalt. Es kann wohl diesen AutorInnen kein Trost sein, dass es in der NMS auch in Unterrichtsfächern mit zugestandenem vertiefendem allgemeinbildendem Auftrag an einer für heute erforderlichen Didaktik mangelt und „Trainer“ als Erzeuger von „Kompetenzen“ eine solche auch gar nicht verstehen müssten. Es folgen fünf Beiträge aus der Perspektive der persönlichen Involviertheit in die Entwicklung und Praxis der NMS. Gemeinsam ist ihnen das bildungspolitische Interesse, der kritisch historische Zugang, das gesellschaftsrelevante ehrliche Engagement der AutorInnen. Gabriele Bogdan, NMS-Lehrerin und Personalvertreterin, titelt „Reförmchen am laufenden Band“, Helmut Breit, ebenfalls Personalvertreter und Lehrer an einer Wiener Mittelschule, geht der Frage nach: „Die Neue Mittelschule – pädagogischer Meilenstein oder teure Mogelpackung?“. Ein Interview mit NMS-Direktor Wolfgang Loidl-Kendler zeigt dessen Einsatz für eine möglichst gute Schule in seinem Ort, aber auch die Enttäuschung darüber, dass das kein Schritt in Richtung Gesamtschule sein kann. Als Exdirektor der IGS-Anton Krieger-Gasse beschreibt Werner Fröhlich die Entwicklung der Schulversuche im Bereich der Sekundarstufe I. Katharina Tiwald wählt als Schriftstellerin eine besondere Darstellungsform unter dem Titel „Durch 2 Lupen. Oder: Wo ist Afrika?“ für ihre NMS-Erfahrungen als Lehrerin. Michael Rittberger stellt die Ansprüche der schulischen Integration aus den 1980er Jahren und die später geforderte Inklusion an Hand ausgewählter Literatur und seinen Erfahrungen gegenüber. Für ihn steht bei der Inklusion das Paradigma der Differenz einem früheren Gemeinschaftsdenken gegenüber. Letztlich sind die Versprechen der „Inklusionisten“ aber ebenso unerfüllbar, wie es die der Befürworter der Integration waren. Es stellt sich auch die Frage, wie Inklusion durch die „Neuerungen“ der NMS interpretiert und gehandhabt wird. Speziell in Zusammenhang mit der Situation der NMS gewinnt die Rezension des Sammelbandes „Sprache und Bildung in Migrationsgesellschaften – Machtkritische Perspektiven auf ein prekarisiertes Verhältnis“ an Bedeutung. Auch ein Nachtrag für das schulheft 1/2016, der Beitrag von Rainer Hawlik „Sprache und Macht: Die Schule unterwirft Migrationsandere“, passt inhaltlich in diese Nummer. Florian Bergmaier, BEd, NMS-Lehrer in Wien Gabriele Bogdan, NMS-Lehrerin in Wien, Personalvertreterin für apflug Eva Borst, Dozentin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Mainz Helmut Breit, NMS-Lehrer in Wien, Personalvertreter Ursula Buchner, Lehrtätigkeit im Studienfach Ernährung und Haushalt an der Pädagogischen Hochschule Stefan Zweig in Salzburg Johanna Eidenberger, Bildungssoziologin. Pädagogische Hochschule OÖ Werner Fröhlich, Direktor der Anton-Krieger-Gasse bis 1999, danach Elternvereinsvorsitzender an einer VS und AHS in Wien Werner Gems, Lehrer für Mathematik und Darstellende Geometrie an der HTL Saalfelden, Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule in Salzburg Rainer Hawlik, Grundschullehrer an einer UNESCO-Volksschule, Lehrtätigkeit an der Pädagogischen Hochschule in Wien Gerda Kernbichler, Lehrtätigkeit am Institut für allgemeinbildende Fächer der Sekundarstufe an der Pädagogischen Hochschule Steiermark Wolfgang Loidl-Kendler, Direktor der NMS Ebensee, OÖ Günter Maresch, Fachdidaktiker für Mathematik und Darstellende Geometrie an der School of Education der Universität Salzburg Thomas Müller, Lehrender für Mathematik, Raumgeometrie an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems Gertrud Nagy, ehemalige Hauptschulleiterin, Projektorientierte Mitarbeit am Institut für Pädagogik und Psychologie an der Johannes Kepler Universität Linz Elke Renner, war AHS-Lehrerin und Lehrbeauftragte für Politische Bildung und Fachdidaktik am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien Michael Rittberger, Integrationslehrer an einer NMS in Wien Ute Sandberger, Bildungssoziologin an der Pädagogischen Hochschule OÖ Klaus Scheiber, Lehrbeauftragter für Raumgeometrie und CAD, Lehrender an der Pädagogischen Hochschule Steiermark für allgemeinbildende Fächer der Sekundarpädagogik Josef Seiter, war Lehrender an der Pädagogischen Hochschule für Kunst- und Werkerziehung in Wien Katharina Tiewald, Schriftstellerin und Lehrerin an einer NMS in Wien Karin Vilsecker, Lehrerin für Mathematik und Darstellende Geometrie an der NMS Praxisschule der Pädagogischen Hochschule Studienverlag: Schulheft 162Inhalt
Die Neue Mittelschule: Ein Lehrstück über die allgemeine Heuchelei in der Bildungspolitik
Ein Glossar der Neuen Mittelschule (NMS)
Creaming durch die AHS und Kompositionseffekte an der NMS
Neue Mittelschule – von der Schule für ALLE zur Schule für ALLES
Geometrisches Zeichnen an der NMS – eine Bestandsaufnahme
Nicht nur an der NMS: Vom „Technischen und Textilen Werken“ zum „Werken NEU“
Ernährung und Haushalt in der NMS – eine SWOT-Analyse
Reförmchen am laufenden Band
Die Neue Mittelschule – pädagogischer Meilenstein oder teure Mogelpackung?
Ein Praxistest
Sportschwerpunkt rettet NMS
Zur Entwicklung der Sekundarstufe 1
Durch zwei Lupen. Oder: Wo liegt Afrika?
Integration und Inklusion
Alter Wein in neuen Schläuchen?
Nadja Thoma, Magdalena Knappik (Hg.)
Sprache und Bildung in Migrationsgesellschaften
Unterwerfung!
Was ökonomistische Schulreformen (besonders) mit Migrationsanderen machen.AutorInnen
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