Bildung und Ungleichheit
Das Thema Bildung und Ungleichheit hat im schulheft Tradition. Neu und bemerkenswert ist, und das soll mit den vorgelegten Beiträgen illustriert werden, dass in der qualitativen Sozial- und Bildungsforschung (in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren) eindrucksvolle Fortschritte zu verzeichnen sind, gerade was die Frage der (Re)Produktion von Ungleichheit im und durch Unterricht betrifft. Die Beiträge dieser Ausgabe gehen zum Teil auf die öfeb-Tagung „Zur Produktion von Differenz in Bildungssystemen“ (Wien, Mai 2013) zurück und präsentieren darüber hinaus Ergebnisse aus aktuellen Forschungsprojekten zu diesem Themenbereich. Editorial Frank-Olaf Radtke Michael Brandmayr Hans Traxler Uwe Gellert, Till Sebastian Idel, Kerstin Rabenstein, Michael Sertl Hauke Straehler-Pohl Gisela Unterweger Michael Sertl, Andrea Raggl, Gabriele Khan AutorInnen Das Thema Bildung und Ungleichheit hat im schulheft Tradition. So haben wir in der Nr. 123/2006 unsere Gedanken zu diesem Thema als „Aspekte eines diffusen Zusammenhangs“ überschrieben. Heute, acht Jahre später, können wir behaupten, dass schon wesentlich mehr Licht und Klarheit in diesem komplizierten Zusammenspiel von Schule, Bildung und Unterricht auf der einen Seite und der Reproduktion von Ungleichheit auf der anderen Seite herrschen.1 In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat die qualitative Bildungsforschung bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Diese ziemlich lebendig gewordene Szene war Ausgangspunkt für die Tagung „Zur (Re)Produktion von Differenzen im Bildungswesen“ im Mai 2013 in Wien.2 In diesem schulheft werden vier Vorträge dieser Tagung abgedruckt (Radtke, Gellert u.a., Unterweger, Sertl u.a.). Weitere Tagungsbeiträge finden sich in der Zeitschrift Erziehung und Unterricht (Nr. 3–4/2014). Zu den einzelnen Beiträgen: Frank Olaf Radtke (Uni Frankfurt) beschreibt in „Embedded Scientists. Eine konzertierte Aktion von Politik, Wissenschaft und Medien zu Rechtfertigung andauernder Bildungsungleichheit“ die seltsam „eingebettete“ Rolle der mainstream-Wissenschaft hinsichtlich der öffentlichen Thematisierung und Reflexion der evidenten Ungleichheit im Bildungswesen. Er bezieht seine Kritik besonders auf die Konstruktion des „Kindes mit Migrationshintergrund“, eine ziemlich inhaltsleere, aber wirkmächtige ungleichheitsrelevante Etikettierung im Zuge der PISA-Diskussion. Im zweiten Beitrag „Das Hidden Curriculum und die Produktion von Differenz. Zur Aktualität eines Begriffs und sein Beitrag zur Erklärung von sozialer Ungleichheit“ versucht Michael Brandmayr (Uni Innsbruck) das Konzept des „heimlichen Lehrplans“, eine theoretische Figur, die in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine große Rolle gespielt hat, für die aktuelle Diskussion wieder fruchtbar zu machen. Passend zu den im Aufsatz von Brandmayer angesprochenen Problemen der Leistungsbeurteilung dokumentieren wir im Anschluss einen kurzen Text des Karikaturisten Hans Traxler zu seiner berühmten Zeichnung, in der ein Lehrer verschiedenen Tieren die Prüfungsfrage stellt:„Zum Ziele einer gerechten Auslese lautet die Prüfungsfrage für Sie alle gleich: Klettern Sie auf den Baum!“. Titel des Textes: „Wie ich einmal völlig missverstanden wurde und damit einen schönen Batzen Geld verdiente“. Im Beitrag von Uwe Gellert (FU Berlin), Till-Sebastian Idel (Uni Bremen), Kerstin Rabenstein (Uni Göttingen) und Michael Sertl (PH Wien) werden exemplarisch zwei unterschiedliche Zugänge zu ein- und derselben Problematik – Wie wird Ungleichheit im Unterricht (re)produziert – vorgeführt. Die beiden verwendeten Ansätze können als diskurstheoretischer und praxistheoretischer bezeichnet werden. Einen sehr elaborierten Ansatz und umfangreiches empirisches Material liefert der Aufsatz von Hauke Straehler-Pohl (FU Berlin) „Wie Bildung scheitert - Mathematikunterricht im Kontext eingeschränkter Erwartungen“. Dieser Aufsatz zeigt eigentlich auf erschütternde Weise, dass Schultypen wie die deutsche (und österreichische?) Hauptschule ständig Gefahr laufen, an ihrem Bildungsauftrag zu scheitern. Vielleicht sollte die Frage im Anschluss an Straehler-Pohl so formuliert werden: Haben Schulen wie die im Aufsatz vorgestellte Berliner Hauptschule überhaupt noch einen Bildungsauftrag? Der Beitrag von Gisela Unterweger (PH Zürich) „Dann wird er mega böse. Zum Umgang mit schulisch markierten Differenzen in der Peerkultur“ konzentriert sich auf die Kinder bzw. darauf, wie Kinder die schulischen Etikettierungen ihrer Peerkultur aufgreifen und bearbeiten. Im letzten Aufsatz wenden Michael Sertl (PH Wien), Andrea Raggl (PH Vorarlberg) und Gabriele Khan (PH Kärnten) den Blick auf die Lehrpersonen und liefern unter dem Titel „Was Lehrpersonen von ihren SchülerInnen und von Eltern erwarten“ einige theoretische und empirische Ergebnisse eines „Forschungsprojekts zu Normalitätsvorstellungen von Lehrpersonen“. Wir wünschen viel Vergnügen beim Lesen! Michael Sertl, Ingolf Erler 1 In der Nr. 142/2011 haben wir den Beitrag Bourdieus zur Erhellung dieses Zusammenhangs ausführlich gewürdigt. Bourdieu spielt interessanter Weise in den Beiträgen dieses Heftes (fast) keine Rolle. 2 Zu Hintergrund und Motivlage dieser Tagung siehe die einführenden Bemerkungen in Erziehung und Unterricht 3–4/2014, S. 299f. Brandmayr, Michael, Senior Lecturer, Institut für Lehrerbildung und Schulforschung, Universität Innsbruck Gellert, Uwe, Prof. f. Erziehungswissenschaft, Freie Universität Berlin Idel, Till-Sebastian, Prof. f. Erziehungswissenschaft, Universität Bremen Khan, Gabriele, Vizerektorin für Forschung, Pädagogische Hochschule Kärnten Rabenstein, Kerstin, Prof. f. Erziehungswissenschaft, Universität Göttingen Radtke, Frank-Olaf, Prof. i. R. f. Erziehungswissenschaft, Universität Frankfurt Raggl, Andrea, Zentrum für Forschung, Pädagogische Hochschule Vorarlberg Sertl, Michael, Prof. f. Humanwissenschaft, Pädagogische Hochschule Wien Straehler-Pohl, Hauke, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Grundschulpädagogik, Freie Universität Berlin Unterweger, Gisela, Dozentin im Bereich Forschung der Pädagogischen Hochschule ZürichKlappentext
Inhalt
Embedded scientists.
Eine konzertierte Aktion von Politik, Wissenschaft und Medien zur Rechtfertigung andauernder Bildungsungleichheit
Das Hidden Curriculum und die Produktion von Differenz.
Zur Aktualität eines Begriffs und sein Beitrag zur Erklärung von sozialer Ungleichheit
Wie ich einmal völlig missverstanden wurde und damit einen schönen Batzen Geld verdiente
Soziale Differenz und Unterricht – soziale Differenzen im Unterricht
Wie Bildung scheitert – Mathematikunterricht im Kontext eingeschränkter Erwartungen
„Dann wird er mega böse.“
Zum Umgang mit schulisch markierten Differenzen in der Peerkultur
Was Lehrpersonen von ihren SchülerInnen und von Eltern erwarten.
Ein Forschungsprojekt zu Normalitätsvorstellungen von LehrpersonenVorwort
AutorInnen
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