Sexualität und Pädagogik
Teil 1: Konzepte und Debatten
Klappentext
Sexualität und Pädagogik stehen in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander. Im vorliegenden ersten Teil der schulheft-Doppelnummer „Sexualität und Pädagogik“ werden Konzepte und aktuelle Debatten diskutiert. Die Beiträge geben einen Überblick über Grundlagen der Sexualpädagogik, sie zeigen auf, wie umstritten die pädagogische Thematisierung von Sexualität auch heute noch ist und sie loten zukünftige Entwicklungslinien des Feldes aus.
Der zweite Teil (schulheft 183) beschäftigt sich mit der praktischen Umsetzung dieser Überlegungen.
Erich Ribolits
(2.12.1947 – 7.4.2021)
Die Herausgeber*innen des schulhefts trauern um ihren geschätzten Mitherausgeber Erich Ribolits. Erich hinterlässt eine Lücke im schulhefte-Team, die nicht zu ersetzen ist. In unseren Herausgeber*innensitzungen war er vor allem Anreger für neue Themen, für mögliche Autor*innen, ein sanfter Kritiker und manchmal auch ein ironischer Vermittler bei Unstimmigkeiten.
Sein Humor, seine undogmatische Herangehensweise und sein genaues Hinterfragen waren uns stets wichtige Gradmesser, unsere eigenen Sichtweisen zu hinterfragen und neu zu justieren. Bei öffentlichen Präsentationen der schulhefte vertrat er uns oft auf dem Podium und brachte die pädagogischen und gesellschaftspolitischen Anliegen der schulhefte nicht nur durch sein Wissen, sondern auch durch seine von Humor und Ironie durchsetzte Rhetorik den Zuhörer*innen nahe. Als verantwortlicher Redakteur gestaltete er gemeinsam mit Kolleg*innen viele schulhefte, in denen er sich vor allem mit gesellschaftspolitischen Anliegen wie Bildung, Arbeit und Lehrer*innenbildung beschäftigte.
Erich Ribolits war einer der wenigen österreichischen Erziehungswissenschafter, die die zunehmende Ökonomisierung der Bildungslandschaft und, gleichsam als Kehrseite der Medaille, die um sich greifende „Pädagogisierung“ der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse von Anfang an kritisiert haben. Im schulheft analysierte er ab 1988 diese Entwicklungen. Schon sein erster Text trug dabei den treffsicheren Titel: „Von der Kunst aus denkenden Menschen Maschinen zu machen“. Er blickte nicht nur auf das Augenscheinliche, sondern auch darauf, was im Diskurs zu wenig beleuchtet wurde. So war eines seiner letzten Projekte dem Thema „Lust“ in der Pädagogik gewidmet. Statt dem neoliberalen Konsens der Motivation zu huldigen, widmete er sich der weitaus humaneren Frage der Lust. Statt Bildung als Lösung für alles zu propagieren, hinterfragte er diesen Common Sense und beleuchtete die Frage, was Bildung mit einem Menschen alles anrichten kann.
Erich war nicht nur Bildungstheoretiker. Als Lehrender an der Agrarpädagogischen Hochschule, den Universitäten Wien und Graz und in der Erwachsenenbildung war er bei den Studierenden ausgesprochen beliebt. Die Studierenden haben ihn sehr geschätzt, er hat sie immer zu kritischem Denken „angestiftet“, mit ihnen gerne in allen möglichen Konstellationen diskutiert, unzählige Diplomarbeiten und viele Dissertationen betreut. Er hat das Erweiterungscurriculum „Erwachsenenbildung“ im Rahmen des Diplomstudiums der Bildungswissenschaften entworfen und viele Jahre lang umgesetzt. Vorlesungen und Seminare an mehreren österreichischen Universitäten und zahlreiche Vorträge zu verschiedenen Themen rund um Bildung, Politik, Kritik, Macht, Ökonomisierung der Bildung zeigen von seinem unermüdlichen Einsatz für eine humane Bildung. Er belehrte nicht, sondern hörte zu. Er prüfte nicht ab, sondern forderte zum reflexiven Denken auf.
Erich war auch in der Erwachsenenbildung wichtiger Motor für kritisches Denken und gegen die Verkommerzialisierung der allgemeinen, nichtökonomischen Erwachsenenbildung. Er war Mitbegründer der Gruppe „Kritische Erwachsenenbildung“ und setzte auch hier wichtige Markierungen, die aus dem eingefahrenen Weg der Kommodifizierung hinausführen sollten.
Erich war zeitlebens ein politischer Aktivist, der nicht nur Kritik predigte, sondern sie auch lebte. 2009, bei den „unibrennt“ Protesten, als man sich Gedanken darüber machte, wie man die Proteste beenden könnte, überraschte er die Protestierenden mit einem „Wieso eigentlich beenden?“.
Trotz aller kritischen Sicht auf die gesellschaftlichen Prozesse, blieb er ein Verfechter eines guten Lebens und einer besseren Gesellschaft. Das ist nicht selbstverständlich und kann ihm nicht hoch genug angerechnet werden. Er hat seine privilegierte Stelle als Universitätsprofessor in der Gesellschaft stets dazu genutzt, sich zu engagieren und sich für andere einzusetzen.
Doch er war nicht immer in einer solch privilegierten Position. In Wien geboren, begann er eine Ausbildung als Elektrotechniker, machte im zweiten Bildungsweg die pädagogische Ausbildung und arbeitete auch lange als Berufsschullehrer. Seine Dissertation verfasste er 1984 an der Universität Wien mit dem Titel „Der Unterschied zwischen Wissen und Weisheit: Überlegungen aus Anlaß des derzeit üblichen Bildungsverständnisses“. Da schimmerte schon viel durch, was in seiner späteren theoretischen Arbeit für ihn wichtig sein sollte.
Vor zwei Jahren wurde bei Erich Krebs diagnostiziert. Er hat lang gegen die Krankheit angekämpft, hat seinen Humor und seine Lebensfreude nicht verloren. Ganz im Gegenteil, er hat stets betont, wie wichtig es ist, jeden Tag zu genießen. In Vorträgen hat er oft den Satz gesagt: „Wer kennt jemanden, der am Totenbett, am Ende, bereut hat, zu wenig gearbeitet zu haben? Viel wichtiger ist es doch, gut zu leben!“ Erich hat einen persönlichen Kampf verloren, das macht uns traurig. Und doch sollten wir von seiner Energie, seinem Humor und seiner Stärke lernen und, wie es am Grabstein von Herbert Marcuse heißt: „weitermachen!“
(Auf der Homepage schulheft.at haben wir die schulhefte aufgelistet, bei denen Erich redaktionell mitgearbeitet hat, und die Liste seiner Buchpublikationen. Dort sind auch facebook-Einträge von ehemaligen Studierenden, anlässlich seines Todes, dokumentiert.)
Inhalt
Editorial
Grundlagen der Sexualpädagogik
Soner Uygun
Von der repressiven Sexualerziehung zur emanzipatorischen sexuellen Bildung
Nadine Scholz-Naujoks
Sexualerziehung als zentraler Aspekt der allgemeinen Gesundheitsförderung am Beispiel der „Menstruation“
Klemens Ketelhut/Ellen Sartingen/Johanna Weselek
Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt
Eine heteronormativitätskritische Analyse des Umgangs mit Bildung für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schulen
Stephan Hloch
Grundsatzerlass und Co – Status Quo sexualpädagogischer Arbeit in Schulen
Sexualpädagogik unter Druck
Judith Klemenc
„… Nur weil ich ihn treffe, heißt das noch lange nicht, dass er mein Freund ist.“
Paul M. Horntrich
Aufklärung, Verklärung oder Schweigen? Entwicklungslinien römisch-katholischer Sexualpädagogik in Österreich und Deutschland im 20. Jahrhundert
Ewa Ernst-Dziedzic, Paul Haller
Angriffe auf Sexualpädagogik in Polen als Schauplatz anti-feministischer und nationalistischer Politik
Anne Stöckelmaier, Julia Hack, Daniela Giacomuzzi
Lückenfüller Ehrenamtlichkeit?
Potenziale und Herausforderungen der Ehrenamtlichkeit anhand des Peer-Projekts achtung°liebe
Kritische Reflexionen & Interventionen
Cindy Ballaschk, Lisa Pfahl
Wissensproduktionen zum ‚Jungfernhäutchen‘ in sexualpädagogischen Materialien
Felix Michl
Sexuelle Vielfalt in sexualpädagogischen Materialien für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung
Jann Schweitzer
Anerkennung als Bedingung sexueller Bildung
Missachtungserfahrungen in schulischer Sexualerziehung aus Schüler*innenperspektive
Katharina Debus
BDSM und Sexualpädagogik
Maria Dalhoff
Konsens beleben
Über die Bedeutung von Politiken sexueller Einvernehmlichkeit und das Potential konsensueller Entscheidungsfindung für sexuelle Bildung
Anna Hartmann
Das Sexuelle der sexuellen Bildung
Erratum zu schulheft 181
Autor*innen dieser Ausgabe
Editorial
Die Frage, was in der Schule wie unterrichtet wird, ist immer auch Ausdruck von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen und Machtverhältnissen. In kaum einem Bereich zeigt sich das so offensichtlich wie beim Thema Sexualität. Gegen den Widerstand konservativer politischer Kräfte wurde in Österreich erstmals 1970 ein Erlass für die umfassende und fächerübergreifende Thematisierung von Sexualität herausgegeben. Aber auch ein halbes Jahrhundert später erregt das Thema die Gemüter, wie die wiederkehrenden politisch-medialen Kampagnen gegen Sexualpädagogik zeigen.
Offensichtlich werden im Ringen um die Thematisierung von Sexualität in Schulen unterschiedliche virulente Fragen ausgehandelt. Etwa die grundsätzliche Frage, was eigentlich unter Sexualität verstanden werden kann und welche Normvorstellungen dabei vorherrschen. Sowie die Frage, ob Bildungseinrichtungen ein Ort der kritischen Auseinandersetzung mit intimen Themen sein können oder ob dies lediglich in der Sphäre des Privaten passieren soll. Und schließlich wird auch um unterschiedliche Sichtweisen auf das Verhältnis zwischen Sexualität und jüngeren Generationen gerungen: Sollen Kinder und Jugendliche vor Sexualität beschützt oder in ihrer sexuellen Entwicklung begleitet werden?
Zugänge und Methoden der Sexualpädagogik haben sich dabei in den letzten Jahrzehnten verändert und vervielfältigt. Neben einzelnen ambitionierten Projekten stellte sich das Gros des „Aufklärungsunterrichts“ der 1970er und 80er Jahre als reine Wissensvermittlung biologischer Fakten dar, das damit an zentralen Interessen von Jugendlichen vorbei ging. In den 1980er und 90er Jahren rückte der Präventionsgedanke mit Themen wie HIV/Aids oder sexueller Gewalt in den Fokus der Sexualpädagogik. Während durch die Sexualpädagogik damit wichtige Fragen pädagogisch bearbeitbar wurden, blieben andere Thematiken, die nicht in den Gefahrenfokus fielen, unterbelichtet. Diese Erfahrungen reflektierend, versuchen aktuelle Zugänge der Sexualpädagogik einen holistischen und differenzierten Blick auf Sexualität zu vermitteln, der Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung einer selbstbestimmten Sexualität begleitet. Diese Pädagogik möchte lebensweltnahe sein, um jene Kompetenzen zu vermitteln, die für ein Navigieren durch das widersprüchliche Feld der Sexualität benötigt werden. Und sie möchte gesellschaftliche Normierungen von Sexualität nicht reproduzieren, sondern von der Normalität der Vielfalt der Lebens- und Liebensweisen ausgehen. Die Auseinandersetzungen rund um Sexualpädagogik sind damit jedoch nicht an ihrem Ende angelangt. Aktuelle Debatten loten aus, welche relevanten Themen heute ausgeklammert werden und in welche Richtung sich die Sexualpädagogik weiterentwickeln soll.
An dieser Auseinandersetzung möchte sich auch die schulheft-Doppelnummer „Sexualität und Pädagogik“ beteiligen. Während Band zwei auf Fragen der Umsetzung von Sexualpädagogik fokussiert, stehen im vorliegenden ersten Band konzeptuelle Fragen im Zentrum. Die Texte, die hier versammelt sind, präsentieren Zugänge und Begrifflichkeiten aktueller Sexualpädagogik, stellen dar, wie umkämpft der Kontext oft ist, in dem Sexualpädagogik stattfindet und weisen kritisch auf notwendige Umdenkprozesse und Weiterentwicklungen in der Sexualpädagogik hin.
Den Beginn machen Texte, die grundlegende Konzepte und Rahmenbedingungen aktueller Sexualpädagogik darstellen. Soner Uygun bespricht in einem historischen Abriss die Entwicklung der Sexualpädagogik seit den 1950er Jahren und zeigt dabei zentrale Entwicklungslinien auf. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen beschreibt er die Eckpunkte einer Sexuellen Bildung, wie sie aktuell breit diskutiert wird.
Daran anschließend führt Nadine Scholz-Naujoks aus, inwiefern Sexualerziehung als Aspekt der Gesundheitsförderung verstanden werden kann. Welche Rolle dabei die Frage sexueller Gesundheit spielt, wird in dem Artikel nicht nur abstrakt dargestellt, sondern auch am Beispiel der Vermittlung eines positiven Zugangs zur Menstruation verdeutlicht.
Klemens Ketelhut, Ellen Sartingen und Johanna Weselek erweitern die Perspektive um einen heteronormativitätskritischen Blick. Im Zentrum steht dabei die Kritik an sexuellen Normen, die Heterosexualität aufwertet, während sie alle anderen Sexualitäten als Abweichung markiert und abwertet. Auf Basis von Interviews mit Lehrer*innen wird dargestellt, welche Herausforderungen sich im schulischen Alltag mit sexueller Vielfalt ergeben und welche pädagogischen Antworten darauf gefunden werden können.
Stephan Hloch stellt in seinem Text die Rahmenbedingungen für sexualpädagogische Arbeit an Schulen in Österreich dar. Im Kontext der oft hitzigen politischen Debatten wurde einiges an Unsicherheit rund um die tatsächlichen Möglichkeiten und Grenzen schulischer Sexualpädagogik erzeugt, die in dem Artikel beseitigt werden.
Sexualpädagogische Arbeit stößt auf unterschiedlichste Widerstände. Der zweite Teil des Heftes versammelt Texte, die aufzeigen, inwiefern Sexualpädagogik in verschiedenen Kontexten „unter Druck“ gerät und was dem entgegengesetzt wird.
Judith Klemenc berichtet in ihrem Text von Erfahrungen, die sie als Lehrerin mit der Thematisierung von Sexualität im Unterricht gemacht hat. Der Text zeigt dabei nicht nur die spannenden Möglichkeiten, die ein offenes Sprechen über Sexualität in der Schule eröffnen, sondern auch die harschen Konsequenzen, die Lehrer*innen dafür mitunter tragen müssen.
Die Katholische Kirche gehört zu den größten Gegnern einer modernen Sexualpädagogik. Dennoch wäre es falsch zu glauben, die
Kirche versperre sich jeglicher Auseinandersetzung mit der Thematik. Wie Paul M. Horntrich in seiner Analyse darlegt, ringt die Kirche seit Jahrzehnten mit ihrem Verhältnis zur pädagogischen Thematisierung von Sexualität. Trotz großer Entwicklungsschritte verstrickt sich die Kirche dabei immer wieder in ihrer widersprüchlichen Haltung zu Sexualität im Allgemeinen.
Mit dem Text von Ewa Ernst-Dziedzic und Paul Haller wird der Blick über die Grenzen nach Polen geworfen. Dort haben sich rechte Parteien seit einigen Jahren dem Kampf gegen die „Gender-Ideologie“ verschrieben. In diesem Zusammenhang wurden Frauen- und LGBTIQ-Rechte schrittweise beschnitten. Die Sexualpädagogik kam ebenfalls ins Kreuzfeuer rechter Politik, die bestrebt ist, sexuelle Bildung in der Schule unter Strafe zu stellen.
Anne Stöckelmaier, Julia Hack und Daniela Giacomuzzi stellen in ihrem Beitrag die Arbeit des österreichischen Projekts achtung°liebe vor. Anders als andere sexualpädagogischen Angebote wird es ehrenamtlich von jungen Erwachsenen durchgeführt und folgt einem Peer Education Ansatz. Der Artikel zeigt einerseits auf, welches Potential dieser Zugang hat. Andererseits diskutiert er, inwiefern das Peer-Konzept durch aktuelle Regulierungs- und Professionalisierungsprozesse in Österreich unter Druck gerät.
Der dritte Teil verdeutlicht, dass Weiterentwicklung auch selbstkritisches Hinterfragen der eigenen Praxis benötigt. Hier finden sich Texte, die auf Probleme und Verkürzungen aktueller sexualpädagogischer Praxis hinweisen und Anregungen für neue Wege geben.
Die beiden ersten Texte analysieren problematische Aspekte in sexualpädagogischen Materialien. Cindy Ballaschk und Lisa Pfahl fokussieren in ihrem Beitrag auf die Thematisierung des sogenannten „Jungfernhäutchens“ in oft verwendeten Materialien und Online-Angeboten. Sie zeigen auf, dass selbst in sexualpädagogischen Materialien mitunter sexuelle Mythen reproduziert und dadurch Geschlechterstereotypen verstärkt werden.
Felix Michl fragt in seinem Text, inwiefern Aspekte sexueller Vielfalt in Materialien für die sexualpädagogische Arbeit mit Menschen mit Behinderung berücksichtigt werden. Er zeigt auf, welche impliziten Normen in den Materialien transportiert werden und verweist auf die Notwendigkeit, die sexualpädagogische Arbeit mit Menschen mit Behinderungen in mehrerlei Hinsicht vielfältiger zu gestalten.
Jann Schweitzer wechselt die Perspektive und befragt Jugendliche über deren Erfahrungen mit schulischer Sexualpädagogik. In den Berichten der Schüler*innen dokumentiert sich insbesondere eine fehlende Anerkennung nicht-heterosexueller Begehrensweisen. So eine Sexualpädagogik, dies zeigt der Text, bietet Schüler*innen, die jenseits der Heteronorm leben und lieben, keine relevanten Inhalte und verwehrt ihnen Bildungsprozesse.
Katharina Debus bespricht in ihrem Beitrag ein Thema, mit dem viele Pädagog*innen Berührungsängste haben: BDSM. Wie die Autorin jedoch argumentiert, gibt es viele gute Gründe dafür, das sexuelle Spiel mit Dominanz und Unterwerfung pädagogisch in den Blick zu nehmen. Einerseits, weil dadurch Jugendliche erreicht werden können, die Interesse an entsprechenden Praktiken haben. Andererseits, weil in BDSM-Kontexten differenziertes Wissen über sexuelle Einvernehmlichkeit erzeugt wurde, von dem alle lernen können.
Das Thema Consent steht auch im Zentrum des Beitrags von Maria Dalhoff. Sie konstatiert einerseits eine nur mangelhafte sexualpädagogische Beschäftigung mit Fragen von sexuellem Konsens. Andererseits weist sie auf Fallstricke mancher Einvernehmlichkeits-Konzepte, wenn diesen ein paternalistisches Vertragsdenken zugrunde liegt. Dementgegen werden Möglichkeiten diskutiert, wie in der Sexualpädagogik ein komplexes und machtsensibles Verständnis von Consent vermittelt werden kann.
Der Beitrag von Anna Hartmann schließt das Heft aus psychoanalytischer Perspektive. Aus dieser Perspektive kritisiert Hartmann, dass aktuelle Zugänge der Sexuellen Bildung vielfach auf einem zu undifferenzierten Verständnis von Sexualität und Subjektivität aufbauen. Im Text wird ein anderer Blick entwickelt, demzufolge Sexualität als Strukturprinzip des Subjekts verstanden wird. Insofern, als Subjektivität laut den herangezogenen psychoanalytischen Theorien stets in sich brüchig und gespalten ist, ist es auch Sexualität. Ein so anderer Blick auf Sexualität hat Konsequenzen für sexualpädagogische Arbeit, wie die Autorin ausführt.
Viktoria Laimbauer, Paul Scheibelhofer
In den einzelnen Beiträgen werden unterschiedliche Gender-Schreibweisen verwendet. Die Redaktion hat dies den Autor*innen freigestellt.
Autor*innen dieser Ausgabe
Redaktion
Viktoria Laimbauer
Paul Scheibelhofer
Cindy Ballaschk hat Soziologie (B.A.) und Gender Studies (M.A.) studiert. Sie promoviert in den Gender Studies an der Humboldt Universität zu Berlin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam.
Maria Dalhoff ist traumaspezifische Fachberaterin, Traumapädagogin, Erwachsenenbildnerin und Sexualpädagogin. Seit 2011 ist sie bei der Wiener Fachstelle Selbstlaut – gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen tätig. Ihre aktuellen Interessensschwerpunkte sind machttheoretische Einbettungen sexueller Zustimmungskonzepte sowie organisierte sexualisierte rituelle Gewalt. Kontakt: office@selbstlaut.org | www.selbstlaut.org
Ewa Ernst-Dziedzic ist Politologin, Nationalratsabgeordnete im Grünen Klub. Sie ist Sprecherin für Außenpolitik, Migration, Menschenrechte und LGBTI des Grünen Parlamentsklubs.
Katharina Debus, Politologin und Sexualpädagogin (ISP), seit 2001 u. a. in der sexualpädagogischen Jugendbildung, tätig seit 2009 freiberuflich und für Dissens – Institut für Bildung und Forschung (Berlin) in der Fachkräftebildung zu geschlechterreflektierter Pädagogik und Diskriminierung tätig.
Daniela Giacomuzzi (geboren 1995) ist Medizinstudierende im 4. Jahr und hat im Laufe des Studiums ihre Freude an der Sexualpädagogik entdeckt. Seit einem Jahr ist sie in den nationalen Strukturen von achtung°liebe involviert.
Julia Hack studiert Bildungswissenschaften (B.A.) an der Universität Wien und ist im Rahmen von achtung°liebe als Jugendsexualberaterin aktiv.
Paul Haller ist LGBTI-Referent des Grünen Klubs im Parlament, Sozialarbeiter, Sexualpädagoge und Fachkraft für Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen.
Anna Hartmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Allgemeine Erziehungswissenschaft/Theorie der Bildung an der Bergischen Universität Wuppertal. Arbeitsschwerpunkte: Frauen- und Geschlechterforschung, Psychoanalyse, Care-Ökonomie, sexuelle Bildung für Schule und Lehrberuf
Stephan Hloch ist Psychologe und Sexualpädagoge, derzeitige Tätigkeit: Österreichische Gesellschaft für Familienplanung (First Love). Seit 2003 in der sexuellen Bildung tätig.
Paul M. Horntrich ist Universitätsassistent am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Geschichte der Sexualitäten im deutschsprachigen Raum. Laufendes Forschungsprojekt: „Pornographie in Österreich. Politische Debatten und mediale Diskussionen während der langen Sexuellen Revolution, 1950er bis frühe 1980er Jahre“.
Klemens Ketelhut, Soziologe, Pädagoge; Geschäftsführer Annelie-Wellensiek-Zentrum für Inklusive Bildung, Pädagogische Hochschule Heidelberg
Judith Klemenc ist purzelbäumende feministische Künstlerin und Theoretikerin, Brotberuf: AHS-Lehrerin im Fach Bildnerische Erziehung. Forschungsschwerpunkte: kritische Geschlechterforschung, Migration und Bildung. www.judithklemenc.at
Viktoria Laimbauer studierte Lehramt und Soziologie in Wien und Hamburg mit den Schwerpunkten Feministische und Postkoloniale Theorien und Familiensoziologie. Sie unterrichtet an einer Volksschule in Wien.
Felix Michl studierte Sonderpädagogik auf Lehramt an der Universität Leipzig und arbeitet dort seit April 2019 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Pädagogik im Förderschwerpunkt körperlich-motorische Entwicklung. Seine Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre sind u. a. in den Bereichen Sexualität und Behinderung (insb. Fragen zu sexueller bzw. geschlechtlicher Vielfalt) verortet.
Lisa Pfahl hat Soziologie, Philosophie und Politik an der Freien Universität Berlin studiert und dort zu „Techniken der Behinderungen“ (2011) promoviert. Sie ist Univ.-Professorin für Disability Studies und Inklusive Bildung an der Universität Innsbruck.
Ellen Sartingen ist Studentin im Master of Education an der Universität Heidelberg. Fellow an der Heidelberg School of Education zum Thema Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt.
Paul Scheibelhofer ist Assistenzprofessor für Kritische Geschlechterforschung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck. Er beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit Kritischer Sexualwissenschaft, emanzipatorischer Sexualpädagogik, Männlichkeitsforschung und Migrationsforschung.
Nadine Scholz-Naujoks hat Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Interkulturelle Beziehungen studiert; mehrere längere Arbeitsaufenthalte im Ausland, u. a. Schottland und Indien. Ausbildung zur Trainerin für Social Justice und Diversity. Mitarbeiterin in einer Kanzlei zum Themengebiet Gleichstellungsrecht und AGG, Co-Autorin eines monatlich erscheinenden Newsletter zu gleichstellungsrelevanten Themen und Mutter einer Tochter.
Jann Schweitzer, Erziehungswissenschafter, Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung am Institut für Erziehungswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Berater bei der AIDS-Hilfe Frankfurt e. V. und seit 2019 stellvertretender Vorsitzender des pro familia Bundesverbandes.
Anne Stöckelmaier (geboren 1993) hat Europäische Ethnologie/Empirische Kulturwissenschaft in München und Wien studiert. Derzeit ist sie Studentin der Bildungswissenschaft mit Schwerpunkt Medienpädagogik an der Universität Wien. Während ihrer Studien war sie drei Jahre als Jugendsexualpädagogin bei achtung°liebe tätig.
Soner Uygun ist seit 2016 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich für Erziehungswissenschaften an der Universität Bremen/Deutschland im Arbeitsbereich Elementar- und Grundschulpädagogik tätig. Im Rahmen seines Dissertationsvorhabens forscht er zur sexuellen Bildung von Jungen/Burschen in der Grundschule.
Johanna Weselek promoviert in Soziologie zum Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung. Forschungsschwerpunkte: Bildungsungleichheit, Nachhaltigkeit, Globales Lernen.
Bestellen
Studienverlag: Schulheft 182