SCHULE.MACHT.ANGST
Denk- und Möglichkeitsräume tabuisierter Zusammenhänge in Schule und Hochschule
Klappentext
Macht und Angst sind wirkmächtige Begriffe, die die Funktion von Schule als Disziplinar- und Kontrollinstitution innerhalb unserer Gesellschaft unterstützen und perpetuieren.
Im vorliegenden schulheft werden die oftmals tabuisierten Themen Angst und Macht in Bezug auf schulische und hochschulische Kontexte analysiert. Dabei werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln sowohl theoretische Erklärungsmodelle als auch Machtpraktiken im Feld Schule bzw. Hochschule beleuchtet. Ein besonderer Fokus dieses schulhefts liegt auf künstlerischen Zugängen, mit deren Hilfe diese Emotionen in der Schule und Hochschule reflektiert und somit bearbeitet werden können.
Inhalt
Vorwort
Theoretischer Hintergrund
Erich Ribolits
Warum Bildung bei der Überwindung der Machtverhältnisse
nicht hilft, zu deren Erhalt aber ganz wesentlich beiträgt
Matthias Huber
Angst in der Pädagogik
Ein differenzierter Blick auf eine wirkmächtige Emotion
Martina Pihringer und Christine Rabl
(K)ein guter Ratgeber
Eine Reflexion über Angst in der Schule zwischen Bewältigen und Verstehen
Eveline Christof
Schule und Macht?
Zu den Rollen von Schüler*innen und Lehrer*innen und wie sich diese in der
Lehrer*innenbildung fortschreiben
Daniela Holzer
Macht, die Angst macht, und Angst, die (Gegen-)Macht macht
Fragmente aus der Erwachsenenbildung
Machtpraktiken im Feld Schule
Cathrin Reisenauer & Nadine Ulseß-Schurda
Macht und Angst
Zwei tabuisierte Aspekte schulischer Anerkennungsprozesse
Julia Reischl
„Es war eine asoziale Nummer“
Zur Perspektive von Schüler/innen auf Beschämung in der
Klassenöffentlichkeit des Schulunterrichts
Antonia Paljakka
Bullying.Macht.Angst
Julia Reischl
„Der Schüler hat die Macht zu spüren bekommen und
mir is trotzdem im Nachhinein so peinlich“
Zu Aggression und Schuld als Maske der Scham bei der Lehrperson
Bearbeitung von Macht und Angst mit künstlerischen Ansätzen
Julia Köhler, Alexander Hoffelner
Macht.Theater.Angst.
Ansätze theaterpädagogischer Erfahrungsräume zum Thema Macht
Markus Göller
Musik•Macht•Schule
Stephan Engelhardt
Hiketides – Die um Schutz Flehenden
Die theatrale Szene und ihre therapeutische Dimension
Marlene Kowalski, Söhnke Post
Sexualität und Pädagogik – Tabus in der Lehrer*innenbildung
Erziehungswissenschaftliche Konzepte und literaturdidaktische Überlegungen
zur Professionsentwicklung
Autor*innen dieser Ausgabe
Vorwort
Emotionen haben zweifellos einen großen Einfluss auf unser Denken und Handeln, aber auch auf das Lernen der Schülerinnen und
Schüler. Das vorliegende schulheft widmet sich der Analyse des Zusammenhangs der drei Bereiche Schule, Macht und Angst. In der Schule spiegeln sich die Strukturen der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse wider. Schule, als ein Teil des Gesellschaftssystems, hat unter anderem die Aufgabe, das herrschende System (oder auch das System der Herrschenden?) zu stabilisieren, aufrechtzuerhalten, weiterzuführen und dementsprechend zu selektieren. So finden sich auch jene Strukturen der Herrschaft und der Macht in der Schule, die die Gesellschaft vorgibt. Im System Schule werden Rollen ebenso verteilt, wie die damit zusammenhängenden Verhältnisse von Macht und Ohnmacht.
Aber ist die Ausübung einer strukturellen, vorgegebenen Macht auch immer legitim? Wie verteilen sich Macht und Ohnmacht im System Schule, in der Hochschule, in den einzelnen Schulstandorten, in den jeweiligen Klassenzimmern? Und wie kann sich Macht bzw. Ohnmacht, wenn sie sich auf Einzelne konzentriert, in Angst verwandeln? Wir fragen also: Macht Schule Angst? Wird Angst in der Schule durch bestimmte Mechanismen systematisch erzeugt? Oder auch so: Welche besondere Art von Macht verbreitet in der Schule Angst?
Angst ist eine Emotion, die nicht nur negativ zu sehen ist, hat sie doch in der Geschichte der Menschheit auch eine wichtige Funktion, indem sie Menschen bspw. zur Vorsicht vor Bedrohungen mahnt. Beim Thema Angst und Schule liegt der Blick meist auf dem psychologischen Phänomen der Angst im Sinne von Furcht vor Misserfolg und Versagen, und zwar bezogen auf den Unterricht, auf das soziale Umfeld der Schüler*innen und auf die Leistungsbeurteilung. Dazu werden die Blickwinkel von Schüler*innen, Lehrer*innen sowie von angehenden Lehrer*innen einer näheren Betrachtung unterzogen.
Warum macht Schule Angst? Welche Formen von Macht und Ohnmacht finden sich im Schulfeld und wie wird dort Angst erzeugt? Ist die systembedingte Leistungsmessung der Faktor für die Entstehung von Angst in der Schule – Stichwort „Prüfungsangst“? Wie gehen Lehrer*innen mit jenen dem System inhärenten Machtstrukturen um? Wie setzen sich Lehramtsstudierende mit diesem Teil ihrer zukünftigen Rolle – Macht gegenüber Schüler*innen auszuüben und Ohnmacht gegenüber dem System Schule – auseinander?
Welche weiteren strukturellen Bedingungen der Institution Schule können dazu beitragen, dass Ängste entstehen und sich bei den Beteiligten manifestieren? Welche Rolle spielt dabei das hidden curriculum? Von den systembedingten Faktoren abgesehen, gibt es eine Reihe individueller Gründe für Schulangst. Welche Auslöser, Ursachen und Beweggründe lassen sich identifizieren?
Diese Ausgabe des schulhefts fragt auch danach, wie der Schulangst begegnet werden kann, welche Möglichkeiten der Prävention und welche Ansätze zur Bearbeitung von Ängsten sich ausfindig machen lassen. Dazu werden im vorliegenden Heft Beispiele aus der Praxis und künstlerische Zugänge zum Thema Macht und Angst in Schule und Hochschule vorgestellt, und ebenso kommen auch andere kreative Formen des Umgangs mit Angst zur Sprache.
Zu den einzelnen Beiträgen
Der erste Teil des vorliegenden Hefts spannt einen theoretischen Rahmen für das Thema auf. Dessen erster Beitrag ist ein Wiederabdruck aus dem Sammelband „Bildung und Macht. Eine kritische Bestandaufnahme“, der 2015 von Eveline Christof und Erich Ribolits herausgegeben wurde. Wir drucken diesen Text nochmals in diesem schulheft ab, da die Idee zu dieser Ausgabe von Erich Ribolits stammt, der die Fertigstellung des Hefts leider nicht mehr miterleben konnte. Schon im Titel seines Beitrags ist zu lesen, dass Bildung bei der Überwindung der Machtverhältnisse nicht hilft, zu deren Erhalt aber ganz wesentlich beiträgt. Nach Streifzügen durch die historische und aktuelle Debatte um den Bildungsbegriff wird nach dessen Verquickung mit Macht gefragt sowie danach, wie Bildung gefasst werden müsste, um tatsächlich Bildungsprozesse anregen zu können.
Matthias Huber wirft einen differenzierten Blick auf die wirkmächtige Emotion Angst. Er beleuchtet die vielfältigen Funktionenvon Angst, von ihr als negativ konnotiertem Erlebnis bis hin zu den wichtigen Funktionen, die Angst für das Individuum erfüllt.
Martina Pihringer und Christine Rabl gehen einen anderen Weg, indem sie im Rahmen eines philosophischen Nachdenkens die Funktionen von Angst in der Schule zwischen Bewältigen und Verstehen reflektieren.
In ihrem Beitrag widmet sich Eveline Christof der Perspektive von angehenden Lehrer*innen und ihren Erfahrungen mit Macht, die sie selbst im Feld Schule erlebt haben, und den möglichen Auswirkungen auf ihre zukünftige Rolle als Lehrpersonen.
Danach fragt Daniela Holzer, ob Macht Angst macht oder ob nicht gar Angst eine (Gegen-)Macht machen könnte. Dabei unternimmt sie Streifzüge durch die Erwachsenenbildung und Weiterbildung.
Die folgenden vier Beiträge des zweiten Teils dieses schulhefts widmen sich explizit bestimmten Machtpraktiken, die im Feld Schule zentrale Rollen spielen. Cathrin Reisenauer und Nadine Ulseß-Schurda beleuchten Macht und Angst als zwei tabuisierte Aspekte schulischer Anerkennungsprozesse. Ausgehend von Erzählungen, die Schüler*innen im Rahmen eines Forschungsprojekts verfasst haben, in welchen sie über Situation mit ihren Lehrpersonen berichten, entfalten die Forscherinnen mögliche Szenarien, wie Erfahrungen von Angst in der Schule bearbeitet werden können.
Julia Reischl ermöglicht mit ihrem Beitrag Einblicke in Ohnmachtserfahrungen, die Schüler*innen durch Beschämung im Unterricht erleben. Diese analysiert sie mit tiefenhermeneutischen Methoden.
Antonia Paljakka umreißt das Phänomen Bullying (bzw. Mobbing) in der Schule und thematisiert dabei besonders den Aspekt des Machtungleichgewichts zwischen Mobbenden und Betroffenen sowie die unterschiedlichen Dimensionen der Angst im Bullying-Geschehen.
In einem weiteren Beitrag von Julia Reischl wird auch die andere Seite des unterrichtlichen Geschehens aus der Perspektive einer Lehrperson mit tiefenhermeneutischen Methoden analysiert. Es wird die Sicht eines Lehrers auf Macht, Beschämung und den Umgang damit aufgerollt.
Der dritte Teil des vorliegenden schulhefts widmet sich der Bearbeitung des Themas aus künstlerisch-ästhetischen Perspektiven. Zunächst stellen Julia Köhler und Alexander Hoffelner theaterpädagogische Zugangsweisen vor, die es ermöglichen, Emotionen wie Angst, die durch Ohnmacht entstehen kann, kritisch zu bearbeiten. Markus Göller entfaltet einen spezifischen Zugang und zeigt auf, wie es gelingen kann, Musik im Kontext Schule so einzusetzen, dass Schüler*innen durch Beschäftigung mit Musik zunehmende Resilienz – vor allem gegenüber Zuständen wie Angst – aufbauen. Im letzten Beitrag stellt Stephan Engelhardt ein schulisches Projekt vor, bei dem anhand einer Schultheateraufführung Ängsten einer Gruppe von Schülerinnen mit Fluchterfahrungen implizit und explizit begegnet werden. Theaterpädagogische Arbeit fördert, so die These des Autors, die performative Selbstreferenzialität der Jugendlichen und ermöglicht die Entwicklung neuer Formen von psychosozialer Selbstregulation.
Dieses schulheft widmen wir dem im April 2021 verstorbenen Erich Ribolits, von dem die ursprüngliche Idee für dieses Thema stammt. Sein Humor, seine undogmatische Herangehensweise und sein genaues Hinterfragen waren uns stets wichtige Gradmesser, unsere eigenen Sichtweisen zu problematisieren und neu zu justieren. Bei öffentlichen Präsentationen der schulhefte vertrat er uns oft auf dem Podium und brachte die pädagogischen und gesellschaftspolitischen Anliegen der schulhefte nicht nur durch sein Wissen, sondern auch durch seine von Humor und Ironie durchsetzte Rhetorik den Zuhörer*innen nahe. Als verantwortlicher Redakteur gestaltete er gemeinsam mit Kolleg*innen viele schulhefte, in denen er sich vor allem mit gesellschaftspolitischen Anliegen wie Bildung, Arbeit und Lehrer*innenbildung beschäftigte. In unserem Wirken wird sein Wirken weiterleben.
Eveline Christof und Julia Köhler
Autor*innen dieser Ausgabe
Redaktion
Eveline Christof und Julia Köhler
Eveline Christof, Univ.-Prof. Mag. Dr., Professur für Bildungswissenschaften an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Arbeitsbereiche: Professionalisierungsforschung, Schulpädagogik, Allgemeine Didaktik, Lernen und Lehren, ästhetische Bildungsprozesse, Bildung und Macht. Kontakt: christof@mdw.ac.at
Stephan Engelhardt, Dr. phil. Mag. art., Theaterpädagoge, Kunstpädagoge, Psychotherapeut für KIP in eigener Praxis. Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche. Kontakt: stephanengelhardt1@gmail.com
Markus Göller, Mag., Mag., PhD ist Assistent am Institut für Musikpädagogik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Kirchenmusiker und Gymnasiallehrer in Perchtoldsdorf sowie Instrumentalpädagoge an der Musikschule Brunn am Gebirge. Kontakt: goeller@mdw.ac.at
Alexander Hoffelner, Mag. BA BA, Universitätsassistent am Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien, Forschungsschwerpunkte: Theaterpädagogik, Pädagogische Improvisation, Politische Bildung; BHS-Lehrer für Geschichte und Politische Bildung, Geografie und Wirtschaft sowie Theater, Dozent für Improvisation, Referent in der Lehrer*innenfortbildung, Schauspieler, Theaterpädagoge. Kontakt: alexander.hoffelner@univie.ac.at
Daniela Holzer, Assoz. Prof.in Dr.in, Assoziierte Professorin am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz, Fachbereich Erwachsenen- und Weiterbildung; Lehr- und Forschungsschwerpunkte: kritische Bildungstheorie, kritische Erwachsenenbildung, Weiterbildungswiderstand. Kontakt: daniela.holzer@uni-graz.at
Matthias Huber, HS-Prof. Mag. Dr., ist Professor für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung an der Pädagogischen Hochschule Kärnten. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Pädagogische Epistemologie und Anthropologie, Bildung und Emotion, Bildungsverlaufsforschung, Lehrer*innenbildung, Schulentwicklung, Mixed-Methods-Forschung. Kontakt: matthias.huber@univie.ac.at
Julia Köhler, Mag. Dr., Senior Lecturer am Zentrum für Lehrer/innenbildung, Universität Wien; Lektorin an der Akademie der bildenden Künste, Wien; Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Theaterpädagogik, Kulturelle Bildung. Kontakt: julia.koehler@univie.ac.at
Antonia Paljakka, BA MA, Studium der Bildungswissenschaft an der Universität Wien und der Universität Jyväskylä (Finnland). Universitätsassistentin am Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien mit dem Dissertationsthema „Lehrersensibilität für Bullying unter Schüler*innen“. Lehre im Bereich der allgemeinen bildungswissenschaftlichen Grundlagen. Forschungsschwerpunkte: Bullying, Lehrer*innenbildung, Professionalisierung. Kontakt: antonia.paljakka@univie.ac.at
Martina Pihringer, BA, Lehrende an der BAfEP21 für Didaktik und Praxis; derzeit Masterstudium am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien; Schwerpunkt: Biographie, Bildung und Gesellschaft.
Christine Rabl, Mag. Dr., Lehrende an der Universität Wien, der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und an der BAfEP21; Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Bildung und situiertes Wissen, Elementarpädagogik. Kontakt: christine.rabl@univie.ac.at
Julia Reischl, Mag. Dr. phil., Univ.-Ass. Post-doc am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung (ILS) der Leopold- Franzens-Universität Innsbruck. Lehr- und Forschungsschwerpunkte: (qualitativ-empirische) Schul- und Unterrichtsforschung, Professionalisierung und LehrerInnenbildung, Reflexion
pädagogischer Lern- und Bildungsprozesse. Ausbildung zur Individualpsychologischen Kinder-, Jugendlichen- und Erwachsenenpsychotherapeutin. Kontakt: julia.reischl@uibk.ac.at
Cathrin Reisenauer, Mag.a Mag.a Dr.in, lehrt und forscht an der Fakultät für LehrerInnenbildung der Universität Innsbruck. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Inklusion im Bildungsbereich, pädagogisches Handeln und Partizipation in Schule und Forschung. Kontakt: cathrin.reisenauer@uibk.ac.at
Erich Ribolits, Univ.-Prof. Dr. (1947–2021), Professor für Erwachsenenbildung am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Wien, Lehrbeauftragter an mehreren österreichischen Universitäten und Fachhochschulen, Lehr- und Forschungsschwerpunkte: kritische Bildungstheorie, Erwachsenen- und Weiterbildung.
Nadine Ulseß-Schurda, Mag.a Dr.in, Lehrerin für Deutsch und Englisch, Lehrbeauftragte an der Fakultät für LehrerInnenbildung der Universität Innsbruck; Lehr- und Arbeitsschwerpunkte: pädagogisches Handeln, Holocaust- und Menschenrechtsbildung, Existenzielle Pädagogik. Kontakt: Nadine-ulsess-schurda@uibk.ac.at
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Studienverlag: Schulheft 185